Ernährung

Was ist Nudging? Ein Stups in die richtige Richtung …

Beitrag wurde erstellt von:
Cora Högl

Niemand lässt sich gerne etwas verbieten oder gar vorschreiben. Aber wenn uns die richtigen, die gesunden Entscheidungen besonders leichtgemacht werden – kann das falsch sein? 

Ungesunde Ernährung, Zigaretten, Alkohol, wenig Bewegung – obwohl die meisten Menschen eigentlich wüssten, was gut und gesund für sie wäre, verhalten sie sich nicht danach. Dieses Phänomen beschäftigt Mediziner, Psychologen und Politiker schon seit Jahrzehnten. Immer wieder gibt es – mehr oder weniger gelungene Vorstöße – dem Einhalt zu gebieten: das Rauchverbot, die Tabaksteuer, der heiß diskutierte Veggietag, die (nie eingeführte) Lebensmittelampel…

Ein Nudge muss leicht und ohne großen Aufwand zu umgehen sein. Er ist nur ein Anstoß, keine Anordnung. – Richard Thaler, ‎Cass Sunstein

Doch während die Politiker bisher hauptsächlich auf Verbote und Gesetze setzten, bietet das sogenannte Nudging, auch Entscheidungsarchitektur genannt, einen anderen Lösungsansatz. Nudging bedeutet so viel wie „sanft anstupsen“. Dabei bleiben genau die gleichen Wahlfreiheiten wie zuvor, nur die offensichtlich „besten“ oder auch gesündesten Lösungen werden so angeboten, dass sie einfacher oder leichter zu erreichen sind.

Für nicht wenige dürfte sich das wie Bevormundung oder Manipulation anhören. Doch was hier als trockene Theorie bedrohlich erscheint, funktioniert in der Realität heute schon. Hier einige Beispiele:

Spiegelbild verhindert ungesundes Essen

Forscher der Cornell University führten ein Experiment in verschiedenen Kantinen durch. Dabei hängten sie einfach Spiegel in die Nähe der Essensausgabe. Ohne weitere Maßnahmen griffen die Menschen sofort seltener zu fettigen und süßen Speisen wie Bagels oder Donuts.

„Low hanging fruits” in Kantinen

Kinder greifen in der Schulkantine viel öfter zu gesunden Snacks wie Obst, wenn es für sie einfach zu erreichen ist. Platziert man beispielsweise das Obst in der Auslage vor den süßen Desserts, steigt der Obstverzehr – und im gleichen Maßen nimmt der Konsum von süßen Nachspeisen ab. Werden dazu Bananen im Bündel angeboten, sodass jedes Kind seine Banane mit einem Messer selbst ernten darf, greifen sie ebenfalls viel lieber zu.

Ja, auch Popcorn hat Kalorien …

Keine Knabberei wird in Kinos so gerne verzehrt wie Popcorn. Doch damit nimmt man fast unbemerkt große Mengen an Kalorien, Salz und/oder Zucker zu sich. Um dies den Kinobesuchern bewusst zu machen, verpflichteten die US-amerikanischen Behörden die Kinos, die Nährwertangaben gut sichtbar auf den Popcorn-Verpackungen zu deklarieren. Seither ist der Konsum von Popcorn drastisch zurückgegangen.

Nicht nur beim Thema Ernährung ein „Volltreffer“

Dabei ist Nudging längst nicht auf die Ernährungsweise beschränkt. Ein tolles Beispiel dafür – aus einem völlig anderen Lebensbereich – findet man auf der Herrentoilette des Amsterdamer Flughafens Schiphol. In jedem Urinal klebt dort zentral ein Bild von einer kleinen schwarzen Fliege. Und das erstaunliche Ergebnis: Seitdem geht rund 80 Prozent weniger „daneben“. Offensichtlich weckt die kleine Fliege die Trefferlaune der Männer. Für sie bedeutet es also mehr Spaß und für das Putzpersonal weniger Arbeit – was für eine Win-Win-Situation!

In Kopenhagen wurde ein Vorschlag der Verhaltensökonomen des Danish Nudging Network umgesetzt, auf Bürgersteige grüne Fußabdrücke zu malen, die zu Mülleimern führen. Der Abfall auf den Straßen ging daraufhin um beachtliche 40 Prozent zurück.

Auch in Deutschland wird bereits Nudging betrieben. So stellen Unternehmen Drucker auf, die standardmäßig das Papier beidseitig bedrucken, um Ressourcen zu sparen. Wen das stört, der kann die Einstellung natürlich aktiv ändern.

Ohne moralischen Anspruch ist Nudging einfach nur Manipulation

Doch abgesehen davon gibt es auch viele Kritiker des Nudgings. Sie argumentieren, dass jeder Mensch in der Lage sei, selbst zu entscheiden, was gut oder richtig wäre. Jede Art von Beeinflussung durch die Politik, durch Organisationen oder andere lehnen sie ab.

Dabei vergessen sie allerdings, dass Beeinflussungen und Manipulationen längst und jederzeit stattfinden – nämlich in jedem Supermarkt, in der U-Bahn und auf jedem Fernsehsender. Ob allerdings dort diejenigen Produkte am meisten Aufmerksamkeit bekommen, die auch am besten für die Konsumenten wären, sei einmal in Frage gestellt. Denken Sie nur an die Quengelware an der Supermarktkasse oder an die riesige Zigarettenwerbung an der Straßenecke.

Nudging im Sinne seiner Erfinder beinhaltet dagegen immer einen moralischen Anspruch. Gewinnmaximierung sollte laut Richard Thaler und ‎Cass Sunstein dabei keine Rolle spielen. Inwieweit sich dann Politiker und andere Entscheider an diese ehrenwerte Regel halten, steht auf einem anderen Papier …

Zum Weiterlesen: Ökonom Richard Thaler von der Universität Chicago und der Harvard-Jurist Cass Sunstein schreiben in ihrem 2008 veröffentlichten Buch „Nudge“ (deutscher Untertitel: „Wie man kluge Entscheidungen anstößt“) über ihre Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung und zeigen dabei die Möglichkeiten der Entscheidungsarchitektur auf.

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